Helvetia oder Maria? Patrioten auf Abwegen

Die Schweiz sieht sich als Hort der Demokratie.  Sie ist zu Recht stolz auf ihre Eigenständigkeit. Dass sich CVP-Nahe in Ida Glanzmanns Initiative wiedererkennen, erstaunt weniger als die breite Unterstützung seitens der SVP, die sich selbst als vox populi begreift. Für sie symbolisiert das Kreuz die Werte, die dieses Land ausmachen. Tatsächlich? Die katholische Kirche ist die letzte absolute Monarchie in Europa. Politiker, die die Demokratie mit dem Kreuz in der Hand verteidigen kennen nicht ihr Wesen noch ihre Geschichte. Die Demokratie haben wir der Antike zu verdanken. Der erste Grundsatz des freien Bürgers sprach Solon 600 Jahre v.u.Z.in Athen: Kein fremdes Recht auf den Leib!  Dieses Eigentum an sich selbst begründet alle weiteren Rechte. Auch die Glaubensfreiheit! In der Attitüde der neuen Kreuzritter schwingt die Sorge um die Schweizer Kultur und Heimat mit. Muss man diese mit Paragraphen verteidigen? Wir empfinden unsere Freiheiten als selbstverständlich, ja “gottgegeben”, dabei mussten sie über die Jahrhunderte blutig erkämpft werden. Weder Adel  noch Klerus haben sie ihren dem Volk geschenkt.

Theologie oder Justiz?
Wir berufen uns wie beiläufig auf die UNO-Menschenrechtserklärung und  kennen sie doch kaum, dieses höchste aller ethischen Manifeste, welche das Individuum umfassend vor Uebergriffen und Willkür schützt, wie keine Religion es je könnte. Da berufen sich Politiker auf die Bibel – inkl. Faustrecht, Sklaverei, Genozid und Apokalypse –  wo wir doch alle bis heute von der französischen Revolution zehren? Nicht die Theologie befreit den Menschen und ordnet das gesellschaftliche Leben: die “res publica” geht auf keinen Kirchenvater zurück, sondern auf römische Juristen. Dieser “öffentlichen” Sache, die uns zu Teilnahme und Mitgestaltung verpflichtet, steht die private gegenüber. Wenn es denn einen heiligen Raum gibt, dann diesen Ort der grösstmöglichen Selbstbestimmung und Entfaltung. Wenn es eine “heilige” Schrift gibt, dann die Verfassung.

Das Private als Schutzraum
Sowohl im Kruzifix- als auch im Religionsartikel, die nun beide vom Parlament verworfen wurden, hätte sich eine gefährliche Vermischung dieser beiden Bereiche vollzogen. Sind wir uns bewusst, was diese Grenzüberschreitung bedeutet? Soll die Eidgenossenschaft sich wirklich einem Wüstengott aus dem Vorderen Orient unterwerfen? Welches Gerechtigkeitsverständis soll unser Handeln lenken? Die Hoffnung auf Gnade am “jüngsten Gericht” oder das Bewusstsein, dass wir Verantwortlich sind für uns und andere? Die Religionslobby mag von guten Absichten getragen sein, doch sie bedenkt nicht das Ende. Wer die Justiz über “gut und böse” statt über Recht und Unrecht bestimmen lässt, öffnet der staatlichen Bevormundung Tür und Tor.

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